12. November 2015, 04:58 Uhr
Bundesnachrichtendienst
- Das BND-Gesetz erlaubt eine Weitergabe von Daten nur unter strengen Auflagen. Dies hat der BND im Fall Bad Aibling offenkundig ignoriert.
- BND-Präsident Gerhard Schindler und Ulrich Pferr aus dem BND-Leitungsstab etikettierten daraufhin Daten, die eigentlich als rechtswidrig galten, zu rechtskonformen um.
- Die darauffolgenden Einwände der Datenschutzbeauftragten des BND und von Referenten des Bundeskanzleramtes wurden ignoriert.
Pullach, Montagmorgen, 5. August 2013. Dienstbeginn im Bundesnachrichtendienst. Für den Nachmittag sind Gewitter vorhergesagt. Dem BND steht an diesem Tag noch ein ganz anderes Gewitter bevor. In den folgenden drei Tagen wird sich die Rechtsauffassung des BND zu einer grundlegenden Frage um 180 Grad drehen. Es gibt Streit darüber. Im BND, im Bundeskanzleramt. Am Ende gewinnt nicht das Recht. Es gewinnen die Chefs. Wie heftig der Streit geführt wird, zeigen vertrauliche E-Mails und Dokumente aus BND und Kanzleramt, die der SZ vorliegen. Sie liefern erstmals das ganze Bild eines Disputs, der am Ende die BND-Datenschutzbeauftragte und ein Referat im Bundeskanzleramt düpiert zurücklässt.
Medien berichten damals immer wieder über die BND-Satellitenabhöranlage in Bad Aibling. Im Spiegel steht an diesem Montag wieder, dass im Dezember 2012 etwa 500 Millionen Metadaten an die NSA geflossen seien. Alle aus der Satelliten-Überwachung. Die Frage ist: Darf der BND das?
Am frühen Montagmorgen klingelt im BND ein Telefon. Anruf aus Berlin, aus dem Bundeskanzleramt. Gewünscht wird eine rechtliche Stellungnahme zu den Medienberichten. Im BND wird umgehend reagiert. Um 7.12 Uhr geht eine Mail mit dem Betreff "Eilt sehr!" von einem M. F. aus der Leitungsebene des BND an J. P. im Justiziariat. M. F. liefert sehr konkrete Ideen mit, wie das Kurzgutachten aussehen soll. Ideen, die im Gegensatz zur bisherigen Rechtspraxis im BND stehen. Bisher galt: Egal wo der BND Daten erhebt, wenn er sie weitergeben will, gilt das BND-Gesetz. Das erlaubt eine Weitergabe nur unter strengen Auflagen. Festgehalten ist das in einer Dienstanweisung aus dem Bundeskanzleramt und einer BND-internen Dienstvorschrift. Beide Dokumente hat der BND im Fall Bad Aibling offenkundig ignoriert.
Das könnte so kurz nach den Snowden-Veröffentlichungen großen Ärger geben. Um das zu verhindern, haben sich BND-Präsident Gerhard Schindler und Ulrich Pferr aus dem BND-Leitungsstab (BND-Kürzel U. K.) etwas Neues ausgedacht. Was bisher als rechtswidrig galt, muss rechtskonform werden. Am Montag um 9.11 Uhr übermittelt U. K. in einer Mail an J. P. vom Justiziariat "die von Pr (Präsident Schindler, Anm. d. Red.) und mir am Wochenende grob entwickelte Argumentationslinie. Ich bitte diese im Aufbau beizubehalten." Die in Bad Aibling abgesaugten Satelliten-Daten sollen zu "im Ausland erhoben" umetikettiert werden. Das BND-Gesetz gelte dann nicht. Zum anderen seien von nun an "Metadaten von Ausländern im Ausland (Telefonnummern oder E-Mail-Adressen) keine personenbezogenen Daten". Alles paletti plötzlich. Widerspruch zwecklos.
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Ein weiterer Referent könne die neue Rechtsauffassung "nicht nachvollziehen"
Die Datenschutzbeauftragte des BND mischt sich ein. Um 11.30 Uhr schreibt sie in einer als "geheim" eingestuften Mail, sie halte an ihrer zuvor übersandten Stellungnahme fest, wonach der "Geltungsbereich des BNDG eröffnet ist!". Um 11.48 Uhr versendet das BND-Justiziariat den ersten Entwurf des Kurzgutachtens. Um 12.17 Uhr geht die Datenschützerin auf die Metadaten ein. Wenn es um Telefonnummern, E-Mail-Adressen und anderes gehe, "kann es sich" sehr wohl "um personenbezogene Daten handeln", schreibt sie.
Inzwischen ist das BND-Rechtskonstrukt im Bundeskanzleramt angekommen. Und stößt auf Unverständnis. In einer Notiz wird ein weiterer Referent zitiert. "Herr Wolff teilt die Rechtsauffassung der Datenschutzbeauftragten" und könne die neue Rechtsauffassung "nicht nachvollziehen". Um 19.06 Uhr erreicht das jetzt fertige BND-Sicht-Gutachten die Leiterin des Referats 601. An diesem Donnerstag wird sie in der Sache als Zeugin im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages erwartet. Sie schreibt eine sechsseitige Stellungnahme, in der sie das Kurzgutachten des BND juristisch auseinanderpflückt. Bliebe es dabei, würden dem BND-Gesetz unterworfene Daten "lediglich einen vergleichsweise geringen Restbestand ausmachen". Kontrolle etwa durch die Bundesdatenschutzbeauftragte wäre kaum mehr möglich. Die rechtliche Neuausrichtung sei "kaum vertretbar".
Dienstag, 6. August. Im Kanzleramt ist eine Besprechung angesetzt. Teilnehmer: Referatsleiterin 601, Abteilungsleiter 6, Günter Heiß, BND-Präsident Schindler. In einem Vermerk über das Treffen schreibt sie danach: "Ich habe mehrfach ausführlich begründet, warum diese Rechtsauffassungen" aus ihrer Sicht "nicht vertretbar sind". Für Kanzleramts-Chef Ronald Pofalla sei dieses Gutachten "keine gute Beratung". Ihre Einwände perlen an Schindler und Heiß ab. Am nächsten Tag, es ist der 7. August, besiegelt Heiß die neue Rechtspraxis mit seiner Unterschrift unter die Vorlage an Pofalla: "Da keine Daten im Geltungsbereich des BNDG erhoben werden", finde es "in der Konsequenz (. . .) keine Anwendung". Dies gilt bis heute.
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